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Narrenturm ... oder? Szenische Collage, A 1998

Ein (An-)Stoß an Selbstverständlichkeiten

Aufführungen:
16.-21. Feb. 1998 im Narrenturm
(Pathologisch-Anatomisches Museum der Stadt Wien)

Wiener Zeitung, 19.2.1998

Narrenturm: Textcollage von Emre Tuncer
Perpetuum mobile der Gewalt
von Christine Dobretsberger

Ist Gewalt eine Ausgeburt einzelner perversierter Geister oder ein Massenphänomen? Einigt man sich auf die erste Variante, reduziert sich das Verbrechen auf eine Schar Einzeltäter, die man mittels rigidem Strafvollzug von der Außenwelt abschirmen muß, um innerweltlich Frieden zu erlangen. Ursache und Wirkung werden gleichgesetzt, was unweigerlich zu einem unendlichen Regreß führen muß, und somit als These hinfällig ist.

Eine der berühmtesten Vertreter eines gesamtgesellschaftlichen Ansatzpunktes war Wilhelm Reich (Harald Jokesch). Seine Theorie, wonach jede patriarchal-autoriäre Gesellschaft auf Sexualunterdrückung gründe und als Ersatzbefriedigung gesteigerte Agression und brutalen Sadismus schüre, sorgte in den dreiziger Jahren für Schlagzeilen, machte Reich zu einem allzu unbequemen Zeitgenossen, der besser im Gefängnis aufgehoben schien, wo er 1957 auch starb.

Bereits eine Generation vor Reich erfuhr Helene von Druskowitz (Eva Dité) ein ähnlich verheerendes Schicksal. Die promovierte Philosophin entwarf die Theorie der Gewaltpyramide, an dessen Spitze der Mann steht, Schirmherr über sämtliche Unterdrückungsmechanismen. Als Katalysatoren fungieren Frauen und Kinder. Gewalt wird erfahren und weitergegeben, quasi ein Perpetuum mobile an Grausamkeit. Druskowitz suchte an den Wurzeln des Weltwahnsinns zu rühren und wurde selbst für wahnsinnig erklärt.

Diese beiden historischen Figuren verknüpft Emre Tuncer im "Narrenturm... oder?" (noch bis zum 21. Februar im "Narrenturm", altes AKH zu sehen) mit der Jetztzeit. Die feministische Sprachwissenschafterin Luise F. Pusch (Gabriele Rahnama) kommt ebenso zu Wort wie das massenmediale Über-Ich (Christian Aichinger).

Pulsierende Percussionrhytmen (Léon Koffi) spiegeln die hohe Aktualität des Themas und machen die Collage nicht nur zu einem Generationen überdauernden Zeitzeugnis, auch zu einem pazifistischen Manifest.

 


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